Konkurrierende Behinderungen – erhält Auftragnehmer mehr Zeit und mehr Geld?

Treffen die Zeitwirkungen zweier Behinderungsereignisse aus den Risikobereichen des Auftraggebers (AG) und des Auftragnehmers (AN) zusammen, kann Doppelkausalität vorliegen. Gegebenenfalls versagt die „conditio sine qua non“-Formel. Soweit der AN nicht leistungsbereit ist, kann er ohnehin weder Zeit- noch monetären Ersatz beanspruchen.

Thesen gebildet nach:
Kumlehn, Poppmann: Umgang mit ‚concurrent delays‘ im Rahmen von bauablaufbezogenen Untersuchungen, veröffentlicht in: Baumarkt + Bauwirtschaft, Heft 7-8/2008, Seite 38

Das Problem

Der Auftragnehmer (AN) sieht sich behindert und macht beim Auftraggeber (AG) Ansprüche auf mehr Zeit und mehr Geld geltend. Es wird vorausgesetzt: AG hat die Behinderung in seinem Risikobereich zu vertreten (anspruchsbegründende Kausalität). Für den Ersatzanspruch muss es eine Verbindung zwischen dem Behinderungsereignis und der Folge geben. Wie sind Fälle zu lösen, wenn nicht nur ein Ereignis in ein- und demselben Zeitraum wirkt, sondern zwei? Ein Ereignis sei dem Risikobereich des AG, das andere dem des AN zuzurechnen. Beide streiten darüber, wer für die zeitgleich sich entfaltenden Folgen einzustehen hat. Die zwei Ereignisse sind konkurrierend kausal. Beispiel: Der AG trifft eine Entscheidung verspätet, wodurch sich eine Aktivität zeitlich verschiebt. Während der gleichen Zeit ist der AN unstreitig nicht leistungsbereit. Beide Ereignisse haben jeweils für sich genommen die gleiche Folge: Startverschiebung gleichen Zeitmaßes.

Folgende Lösung bieten die Autoren an

  1. Das zeitliche Risiko einer Behinderungsfolge trage der AG, was sich aus § 6 Nr. 2 Abs. 2 c VOB/B (höhere Gewalt, unabwendbare Umstände) ergebe; AN habe Anspruch auf Bauzeitverlängerung trotz fehlender eigener Leistungsbereitschaft.
  2. Die monetären Folgen habe der AG grundsätzlich nur zu tragen, wenn dafür die Behinderung aus seinem Risikobereich kausal sei.

Lösung trägt nicht

Fraglos besteht kein Anspruch auf Ausgleich von Kosten, die durch den Mangel an eigener Leistungsbereitschaft entstehen; s. a. OLG Rostock, IBR 2006, 15 (Oberhauser), ebenso Kapellmann/Schiffers, Bd. 1, Rz. 1357 f. Damit ist jedoch die Frage nicht beantwortet, welche der zwei zeitgleich wirkenden Ereignisse für die gemeinsame Folge kausal ist. Die Lösung der Autoren trägt nicht. Abgesehen davon, dass die Rechtsfolge „Zeitverlängerung“ aus verspäteter AG-Entscheidungen eher in § 6 Nr. 2 Abs. 2 a VOB/B (Umstand aus Risikobereich AG) zu finden sein dürfte: Fälle der hier gegebenen Doppelkausalität sind mit der VOB/B allein überhaupt nicht zu bewältigen. Nicht das Kriterium Risikoverteilung allein ist relevant, sondern erst in Verbindung mit Kausalität. Nach der Äquivalenztheorie gilt: Wenn ein Ereignis hinweggedacht werden kann und dadurch der Erfolg entfällt, ist das Ereignis kausal für die Folge, es ist monokausal („conditio sine qua non“-Formel). Das im Streit stehende Problem zeigt Doppelkausalität. Doppelkausalität liegt vor, wenn jedes von zwei unabhängigen Ereignissen auch für sich zum Erfolg führen würde. In diesem Fall versagt die „conditio sine qua non“-Formel, denn der Erfolg bleibt so oder so. Jedes einzelne Ereignis hätte für sich ausgereicht. So wird, was nicht verwundert, die Frage nach der haftungsbegründenden Kausalität für die Folge von den Autoren auch nicht beantwortet. Der AN der Praxis wird den Fall auf seine Weise zu lösen suchen. Er wird einwenden, in Wirklichkeit habe er nur auf die Verzögerung des AG reagiert, seine Arbeitskraft zur Geringhaltung der Behinderungsfolge an anderer Stelle eingesetzt und habe sie nicht so schnell wieder zurückführen können, wie es das kurzfristige Behinderungsende erfordert hätte. Solches Einwenden mag Aussicht auf Erfolg haben, wenn eine geeignete Störungsdokumentation mit hinreichender Beweiskraft geführt worden ist. Gelingt es, die Vermutung der fehlenden Leistungsbereitschaft zu widerlegen, bliebe nur noch die Behinderung aus dem Risikobereich des AG als Ursache. Die Doppelkausalität wäre „vom Tisch“ und der Fall monokausal lösbar.