Der Mengenspekulation und der Spekulation auf eine Leistungsänderung dürfte nach Vertragsschluss mit Mitteln des vorvertraglichen Vertrauensschutzes kaum beizukommen sein. Aber durch sorgfältige Leistungsbeschreibung werden die Ansatzpunkte, die Spekulation braucht, vermieden und der Chance einer Spekulation wird der Boden entzogen.
BGB §§ 311, 632; VOB/B § 2 Nr. 3 ff
Zwangslage im Ausgangspunkt
Der Bieter in einem Marktumfeld mit Überkapazität steht unter Preisdruck. Er muss einerseits im Wettbewerb bestehen. Zugleich ist er natürlich an kostendeckenden Preisen interessiert. Wenn er diese auf Dauer nicht durchsetzen kann, greift er zum Mittel der spekulativen Angebotsgestaltung. Er gibt einen Preis ab, mit dem er im Wettbewerb (hoffentlich) bestehen wird. Zugleich muss die Struktur seines Preises so beschaffen sein, dass er in der Abrechnung zunächst (scheinbar) hingegebenes Preisvolumen hereinholt. Für eine transparente und alle Bieter gleich behandelnde Wertung sind solche Angebote ungeeignet und, wie im Fall einer entdeckten Mischkalkulation, auszuschließen (BGH, IBR 2004, 448 = NZBau 2004, 457 = BauR 2004, 1433 – „Rudower Höhe“). Jedenfalls läuft ein Bieter mit derart gestalteten Angeboten Gefahr, aus dem Vergabeverfahren ausgeschlossen zu werden. Überleben mit Kalkül gestaltete Angebote das Vergabeverfahren und werden Vertrag, sind beide Vertragsseiten grundsätzlich gebunden: pacta sunt servanda.
These von Stemmer und Rohrmüller
In der Literatur werden spekulativ übersetzte Einheitspreise, die Vertrag geworden sind, problematisiert. Wenn sie Ausgangspunkt für die Bildung von Nachtragspreisen unter der Maßgabe „Gewinnerhalt“ werden, können exorbitant hohe Abrechnungswerte die Folge sein. Stemmer schlägt vor, bei spekulativer Preisbildung mit oder ohne Preisverlagerung durch Mischkalkulation, aber mit erheblicher Abweichung vom üblichen Preis, bei zufälligen Mengenänderungen oder Leistungsänderungen nicht das Kostendeckungsniveau des Ur-Preises im neuen Preis fortzuschreiben. Überhöhte Preise seien auf ein übliches Niveau (BGB § 632) zu korrigieren, bevor der neue Preis aus dieser korrigierten Basis heraus entwickelt werde (bereinigte Preisfortschreibung); BauR 2007, 458; BauR 2006, 304; ZfBR 2006, 128; VergabeR 2004, 549; Antithesen: Luz, BauR 2008, 196. Rohrmüller stößt ins gleiche Horn: Eine Preisbildung, die Schwächen der Ausschreibung ausnutzt, sei nicht nur bloße Geschäftstüchtigkeit an der Grenze zur Sittenwidrigkeit, sondern eine Verletzung vorvertraglicher Pflichten. Er verlangt, die Chance aus der Mengenspekulation unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes hypothetisch zu eliminieren (IBR 2008, 491).
Antithesen
Dem Problem der Mengenspekulation und der Spekulation auf eine Leistungsänderung dürfte mit Mitteln des vorvertraglichen Vertrauensschutzes kaum beizukommen sein. Denn, wenn der Auftragnehmer einen Mangel in der Leistungsbeschreibung erkannt hat, wird in der Regel festzustellen sein, dass auch der Auftraggeber diesen Mangel bei sorgfältiger Prüfung seiner eigenen Leistungsbeschreibung hätte entdecken können. So mag der Auftraggeber zwar vertraut haben und sein Vertrauen mag enttäuscht worden sein. Ob sein Vertrauen unter diesen Umständen schutzwürdig ist, weckt jedoch zumindest Zweifel. Es mag einzelne Fälle jenseits der Grenze zur Sittenwidrigkeit geben. Die Mehrzahl spekulativer Preisgestaltungen wird unter dieser Grenze oder überhaupt unentdeckt bleibe, weil sich der Auftragnehmer geschickt einrichtet und erklärt. In dem einen oder anderen Fall mag ein Angebot tatsächlich aufgrund beispielsweise auf der Hand liegender Mischkalkulation von der Wertung ausgeschlossen werden. Dem Problem wirklich beikommen wird die Auftraggeberschaft jedoch erst, wenn sie der Chance zur Spekulation durch sorgfältige Leistungsbeschreibungen den Boden entzieht.